preloder

Handeln

„Wenn du Hilfe brauchst, such dir welche!“
„Es gibt so viele Möglichkeiten wo du Hilfe kriegen kannst.“
„Rede mit Freunden, Eltern, Lehrern, Therapeuten oder sonst jemanden!“
„Du musst das nicht alleine machen.“
„Hab keine Angst nach Hilfe zu fragen.“

Diese Sprüche kennen wir alle. Aber wisst ihr wie schwierig es ist sich zu überwinden und zu sagen: „Bitte hilf mir!“? In einer Welt wo eigentlich keiner Zeit dafür hat. Ich weiß auch nicht woran es liegt, dass es so schwer ist. – Das Ego ist zu groß um zuzugeben, dass man nicht klarkommt? Man kann sich nicht öffnen, anvertrauen? Man hat Angst, dass einem nicht geholfen wird aus allen möglichen Gründen sei es Zeit, sei es nicht zu wissen wie? … vielleicht ist es auch nur für mich schwer.
Es wird immer über Opfer und Täter gesprochen ganz klar, weil sie betroffen sind, aber was ist mit den Außenstehenden, den Beobachtern?
Deswegen achtet aufeinander! Passt gegenseitig auf euch auf und nicht nur jeder auf sich. Schenkt euch so viel Aufmerksamkeit wie möglich. Nehmt euch Zeit für die Leute die euch wichtig sind. Verkriecht euch nicht alle in eurem Zuhause, in euren Handys. Schenkt euch Liebe. Gebt acht und findet heraus wie es eurem Gegenüber geht. Klar jeder muss selber entscheiden ob er/sie sich schließlich euch anvertraut, aber wenn ihr schon mal den ersten Schritt zu jemanden gemacht habt, ist das viel wert.
In letzter Zeit geht der moderne, aufgeklärte Trend zu love yourself, me first – that’s so true but man schafft das nicht alone.
Es ist schwer denn richtigen Ton für dieses Thema zu finden und auf dem Gebiet menschlich seinbin ich mit einer der größten Nieten, deswegen sind das Ansprüche genauso an mich selbst.
Man sagt ja man muss zuerst sich selber lieben um geliebt zu werden – auch true. Aber ich glaube das eine geht nicht ohne das andere.

Wir sind nicht dafür gemacht um allein in der Welt zu sein.
#spreadlove
#makelovenotwar
#sonntagszwischendurch

Ein Goldschmied

Ein Goldschmied, in einer kleinen Stadt, vor langer Zeit, schmiedete ein Schmuckstück. Es war ein sonniger Tag und die Werkstatt im Keller, wo durch die bunten Fenster das Sonnenlicht direkt auf das Schmuckstück traf und so erstrahlte die dunkle, vollgestopfte Werkstatt, sie leuchtete und funkelte, so als würde die Sonne tief stehen und durch einen kahlen Wald scheinen. Der Goldschmied betrachtete sein fertiges Werk im Licht und war zufrieden, denn dieses Schmuckstück hat ihm am meisten Kummer bereitet aber es hat auch großen Spaß gemacht es herzustellen.
Eigentlich war das Schmuckstück ein Auftrag von einem neuen Kunden, der gerade hergezogen war und seiner Frau zum Hochzeitstag eine Überraschung machen wollte. Er beauftragte den Schmied einen Anhänger für eine Kette zu machen und der Anhänger sollte besonders sein, nichts was es schon vorher gab, es sollte das Schönste werden was der Schmied je gemacht hatte. – So der Auftrag vom Kunden, – der die Kosten nicht scheute. Und der Schmied nahm den Auftrag wörtlich und mühte sich Tag und Nacht seit einer Woche ab, als der Kunde persönlich kam um den Auftrag zu stornieren. Der Goldschmied war natürlich empört – so viel Arbeit umsonst, er fragte nach dem Grund für den Rückzug des Kundens. Der antwortete, dass seine Frau verstorben ist. Der Schmied war sehr traurig über den Verlust des Mannes und konnte verstehen, dass er das Schmuckstück nicht mehr wollte. Nach dieser Neuigkeit brauchte der Goldschmied etwas Zeit, aber er gab das Schmuckstück nicht auf, sondern wollte es unbedingt fertigmachen um wenigstens jemand anderem eine kleine Freude damit zu bereiten. Der Goldschmied platzierte den Anhänger mit einer wunderschönen Kette auf einem schwarzen Samtständer im Schaufenster.
Die Jahre vergingen und niemand kaufte den Anhänger, aber nicht, weil er nicht schön war, nein ganz im Gegenteil die Leute waren ganz angetan von dem Teil. Man wollte den Anhänger sogar im Museum ausstellen bei einem Wettbewerb, aber der Schmied wollte das nicht. Der Grund warum niemand den Anhänger kaufen wollte, war auch nicht der Preis, der Schmied hat den schon vor langer Zeit weit unter dem Warenwert gesetzt. – Der Grund war, in dieser kleinen Stadt wussten alle unter welchen Umständen der Anhänger entstanden ist, und niemand traute sich etwas Fremdes oder besser gesagt, etwas für jemand anderen bestimmtes zu kaufen, sie meinten alle, sie würden sich fühlen als würden sie einen Raub begehen. Der Schmied konnte nicht verstehen, dass man so etwas offensichtlich Schönes wegen einem so abergläubigen Grund nicht kaufen wollte.
Immer mehr Zeit verging und die Geschichte wurde vergessen. Der Goldschmied war nun alt und grau geworden und würde seinen Laden bald schließen und in den Ruhestand gehen. An einem gewöhnlichen Herbsttag, in der Gegenwart, kam ein junges Paar in den Laden und man sah direkt, dass sie nicht von hier waren – alles wollten sie fotografieren und alles wollten sie haben. Dann entdeckte die junge Frau den Anhänger und war begeistert. Der Schmied und die Frau kamen ins Gespräch: „Was verschlägt so ein schönes und junges Pärchen wie euch in unser altes, verschlafenes Städtchen?“
„Wir sind frisch hergezogen. Mein Vater ist kürzlich gestorben und hat uns sein altes Haus vererbt, wo ich geboren wurde. Er hat es all die Jahre nicht verkauft, was ich nicht verstehe.“
„Oh kannte ich ihre Eltern?“
„Ich glaube nicht. Mein Vater ist ziemlich schnell mit mir hier weggezogen und meine Mutter ist schon bei der Geburt gestorben.“
„Gestorben?“, der Schmied wurde bleich und richtete die Augen auf den Anhänger in ihrer Hand.
„Ja. Wieso? Kannten sie meine Mutter doch?“, er stolperte nach hinten, „Geht es ihnen nicht gut?“
„Entschuldigung, wie alt sind sie?“
Sie schaute verwirrt: „Einundzwanzig.“
„Sie sind es wirklich.“
„Was reden sie da?“
„Sie haben im Sommer Geburtstag nicht wahr?“
„Ja aber woher wissen sie das?“
„Dritter Juli.“
„Woher zum Teufel wissen sie das?“
Er starrte auf den Anhänger.
„Antworten sie! Kannten sie meine Mutter?“
„Nein aber ihren Vater.“, mittlerweile hatte sich der Goldschmied gesetzt.
„Und woher?“
„Den Anhänger den sie in den Händen halten hat ihr Vater für ihre Mutter anfertigen lassen.“, er ließ ihr Zeit um den Satz zu verstehen, sie blickte ihn mit großen, glasigen Augen an, „Bevor ich fertig war ist sie leider gestorben und ihr seid weggezogen. Ich habe das Stück aber noch zu ende gemacht, es ist wirklich das Schönste was ich je gemacht habe, bloß wollte es niemand kaufen. Ich dachte schon, dass es verflucht war, doch es musste genau so kommen, dass sie den Anhänger bekommen.“
Es war schon dunkel aber sie saßen immer noch in der Werkstatt unten und redeten. Keiner konnte glauben was gerade passiert ist und keiner glaubte an einen Zufall. Blätter flogen über die Straße, ein Ast schlug gegen das Fenster, der Wind heulte, es blitze und fing an zu regnen.

Endlose Weiten

04/08/17
Es fühlt sich so unreal an hier zu sein. Es ist als wäre das nicht echt, sondern ich würde mich erinnern, wie es früher war und die Erinnerung ist einfach nur sehr lebhaft. Nichts hat sich verändert – die Häuser, die Autos, die Natur, das Essen, die Menschen. Nichts hat sich verändert. Nur ich bin anders geworden und verstehe nicht, dass ich wirklich hier bin.

Ich sehe aus dem Fenster des fahrenden Zuges und sehe wunderschöne Wälder von Laub- und Nadelbäumen, hochgewachsene Blumen und Gräser auf Feldern, Felsvorsprünge auf denen im Wald verborgen einzelne Häuser stehen und dazwischen kleine Dörfer, wo die Menschen still und vergessen von allen, leben. Es fühlt sich an wie Zuhause – aber nur wie eine Erinnerung davon.

10/08/17
Du gehst an die frische Luft, die sich schwer, staubig und trocken auf die Schultern legt, atmest tief ein und lässt die Sonne in dein Gesicht scheinen, atmest aus und siehst endlose Weiten vor dir. Diese Schönheit, Freiheit und Gefühl von Heimat überkommt dich in diesem Moment. Du weißt einfach du gehörst hier hin – mit jeder Zelle deines Körpers spürst du das ist der eigentliche Platz für dich. Hier fühlt sich alles richtig an – auch die Dinge die Falsch laufen, weil du verstehst warum. Du verstehst die Leute und alles macht einen Sinn – auch was anfangs keinen Sinn macht.

14/08/17
Und wenn du die alten Denkmäler siehst die für die Zeit stehen, wo die meisten Leute mit Landwirtschaft ihr Geld verdient haben – wo man vom Lohn noch Leben konnte, wo die Dörfer und Städte noch nicht an einen verlassenen, heruntergekommenen, aus der Vergangenheit stammenden Ort erinnerten, dann merkst du dennoch ein weizenkorngroßer Funke von der Lebenseinstellung von damals lebt noch in einigen der Leute, wo nicht alle jeden Rubel zweimal umdrehen mussten und nur die dreisten durch klauen und krumme Geschäfte vier dicke Autos haben können.

Die erwähnten Denkmaler in jedem kleinen Dorf, in jeder kleinen Stadt zeigen einfache arbeitende Männer und Frauen die ernst und dennoch freundlich in einfachen russischen Gewändern zusammenstehen und vor ihnen ein landwirtschaftliches Gerät, so etwas wie ein Traktor mit einem Anhänger zum Umgraben, und ganz natürlich ragt hier und da eine Ähre Weizen hervor – buchstäblich das Brot der Menschen.

Und dann wurde dieses Leben kaputt gemacht und die Leute hatten nichts, es gab auch nichts was sie haben könnten, alles verkam, Leute hungerten, Leute klauten, es bildeten sich endlose Schlangen vor den Läden, Leute warteten stundenlang auf etwas Brot, warteten aber vielleicht umsonst, weil bis sie an der Reihe waren es keins mehr gab. Die Leute flüchteten in andere Länder in der Hoffnung auf ein einfaches Leben, was ihnen versprochen wurde, verließen ihre geliebte Heimat und versuchten sich was Neues aufzubauen, gaben alles auf, in der Angst sie könnten sich und ihre Liebsten nicht mehr ernähren, weil kein Lohn mehr bezahlt wurde – Monate, Jahre.
Nach diesen schwierigen, schrecklichen Jahren – in denen ich geboren wurde, hat sich die Situation normalisiert und in ausgewählten großen Städten mit viel Geld geht es Bergauf aber die Leute vom Land, die Leute auf den Denkmälern wurden vergessen und keiner erinnert sich an sie. Es werden immer weniger und irgendwann werden sie alle verschwinden und was bleibt sind die endlosen Weiten Russlands.

15/08/17
Der Hahn kräht, die Hühner gackern und die Vögel zwitschern – ansonsten ist alles still. Ab und zu muht eine Kuh, du stehst auf und die Zeit steht still, nichts bewegt sich.
Durch das flache Land stößt die Sonne auf kein Hindernis beim aufgehen – das Dorf erwacht: Hundegebell, Rasenmäher, ein Traktor macht sich auf den Weg, ein Auto fährt vorbei, ein paar Kinder radeln mit ihrem Fahrrad hin und her und überlegen was sie in dieser eintönigen Landschaft spielen könnten. Kurz nach Mittag wenn die Hitze am unerträglichsten ist, geht man ins kühle Heim und ruht sich vom frühen, anstrengenden Morgen aus. Außer ein paar betrunkene Männer die sich mit ihren betrunkenen Frauen streiten und ab und zu wenn die Sonne den Alkohol trifft und knallt, dann können auch mal Töpfe und Pfannen fliegen und wenn einer dann schließlich im Nachbarsgraben unter einem schattenspendenden Busch seinen Rausch ausschläft und seine Frau ihn sucht und flucht, dann sind alle Dorfbewohner wieder wach und schauen sich das Spektakel in Ruhe, grinsend und kopfschüttelnd an.
Wenn die Hitze vorbeigegangen ist, kriechen alle wieder aus den Häusern und erledigen Dinge im Beet, ernten Gemüse, gießen den trockenen Boden, füttern die Tiere oder schlachten sie, erledigen ein paar Besorgungen, besuchen die Nachbarn oder reparieren was am Haus, legen was ein in der Sommerküche ([летняя кухня] was ein Einzimmerhäuschen ist – eine Küche die nur im Sommer benutzt wird). Wenn die Sonne untergegangen ist und die Kühe von ihrer täglichen Grasung nach Hause getrieben werden wird es friedlich, das Dorf legt sich in Rauch und ein beruhigender Duft von Feuer verbreitet sich überall – Banja [баня] wird geheizt, man wäscht sich, schaut sich eine Serie im Fernsehen an und geht schlafen.

23/08/17
Wenn es draußen heiß ist und der Wind vom flachen Land ganz sanft dein Gesicht berührt, dann scheint die Welt noch in Ordnung.
Libellen, Fliegen, Bienen, Mücken und Schmetterlinge fliegen in Scharren umher und lassen dich nicht allzu sehr zur Ruhe kommen, weil du dich manchmal wehren musst. Enten, Hühner, Gänse, Elstern, Raben und Spatze singen ein Lied für dich und werden hin und wieder von bellenden Hunden unterbrochen. Der Wind lässt die Äste der Bäume rascheln und wenn dieses kleine behutsame Geräusch kurz verstummt, dann hört man nichts mehr außer das Zirpen der Grillen. Der Wind lässt die frisch aufgehängte Wäsche tanzen. Der Himmel ist blau und die Hitze durch die freundliche Brise gerade noch auszuhalten. Es ist still auf dem Land aber nie sorgenlos.

Jetzt wo die Zeit nicht mehr im Zeitraffer läuft, ist es schon wieder Zeit zurück zu kehren.

Meine Tochter

 

Meine Tochter kam ins Arbeitszimmer noch im Pyjama und verheulten Augen und in einem Arm ihren Teddybären. Ich sprang auf und führte sie zum Sofa. Ich fragte sie andauernd was los sei doch sie brachte kein Wort über die Lippen, weinte nur. So fing ich an wilde Vermutungen aufzustellen: „Ist es wegen einem Jungen? Hast du dich mit deiner Freundin gestritten? – wegen einem Jungen? Oder hast du dich mit Mama gestritten? Oder wirst du gemobbt im Cyberspace? – Ich hoffe nicht. Ist vielleicht jemand – ich weiß nicht – gestorben? Oder hatte jemand einen Unfall? Egal was es ist du kannst es mir sagen. Ist irgendwas mit dem Hund?“

Sie schüttelte nur den Kopf.

„Ich weiß es doch auch nicht. Was soll ich machen? Willst du was trinken? Wasser? Oder was stärkeres?“

Sie nickte – ich brachte ihr beides und wartete bis sie sich beruhigt hatte. Es war schlimm anzusehen, seine Tochter so zu sehen ist schrecklich und schlimmer ist, dass ich nicht weiß warum. Als die Tränen getrocknet sind und sie ganz ruhig so dasaß, wagte ich schließlich das Schweigen zu brechen und fragte sie was der Grund für ihren Kummer sei. Sie aber schnaubte, legte sich hin und drehte mir den Rücken zu.

„Ich glaube es nicht! Du kommst heulend zu mir und willst nicht reden und jetzt legst du dich wieder hin – um was? – Zu schlafen? – Ich glaube es nicht!“

Sie reagierte nicht. Ich ging in die Küche, wo meine Frau Kaffee trank und die Zeitung las. Ich fragte sie ob, sie was wusste. Aber sie gab mir keine Antwort, sondern lief ohne ein Wort zu sagen an mir vorbei ins Arbeitszimmer. Sie redete leise zu ihr aber ich hörte keine Antwort.

„Ich glaube sie schläft schon.“, sagte Babett beim Reinkommen.

„Hast du ne Ahnung was sie hat?“

„Nein, ich weiß so viel wie du.“, sie trank ihren Kaffee zu ende.

„Vermutest du was?“

„Nein.“, sie schüttelte den Kopf.

 

Und während meine Eltern diskutierten was mein Problem sein könnte schlief ich gar nicht, sondern lauschte ihren Ideen. Meine Eltern sind tolle Menschen. Sie haben alles richtiggemacht, bloß ich habe alles falsch gemacht, ich habe all die falschen Entscheidungen getroffen.

 

„Wie konnte uns denn in letzter Zeit alles entgangen sein?“, sagte ich leise eher zu mir selbst als zu irgendjemand anderen.

„Vielleicht ist sie eine gute Schauspielerin?“, sie zuckte mit den Schultern.

„Kann sein. Und was ist wenn es die ganze Zeit vor unseren Augen war und wir nichts gesehen haben und es sich immer mehr angesammelt hat und heute ist das Fass einfach übergelaufen?“

Papa könnte echt Hobbypsychologe werden.

„Und was wenn sie einfach eine schlechte Nachricht erhalten hat und früher ist nichts gewesen?“

„Vielleicht.“, ich setzte mich noch mal und stütze den Kopf mit einer Hand.

„Würde ich wirklich nicht merken, wenn meine Tochter traurig ist?“

„Das werden wir sicher bald von ihr erfahren.“

Nach dem Kaffee schlich ich mich ins Arbeitszimmer zurück und erledigte meine Arbeit weiter. Ich war seit zehn Jahren selbstständig mit meinem eigenen Unternehmen. Wir stellen Handwerker zum Hausbau zur Verfügung. Das Geschäft läuft gut. Den ganzen Vormittag lag sie da auf dem Sofa ohne sich zu bewegen, ich arbeitete weiter, ging mit dem Hund raus und machte mir noch einen Kaffee. Schließlich beschloss ich, dass sie genug Trübsal geblasen hat: „Süße, meine Kleine wach auf! Komm steh auf meine Liebe. Geh was Frühstücken! Komm! Oder soll ich dir was bringen? Nein? Auch gut. Komm dann geh in die Küche und iss was. Ich sag’s dir nach einem Frühstück sieht die Welt schon ganz anders aus. Du hast heute auch noch nichts gegessen. Mama ist arbeiten und kommt erst spät wieder also haben wir das Haus für uns.“

Was soll diese Psychonummer? Was will er erreichen? Dass ich meine Probleme weg esse? Vielleicht sollte ich mit der Sprache rausrücken, dann sind alle ruhiger. Ich saß in der Küche und aß, als er plötzlich quiekte: „Du bist aber nicht schwanger oder?“, so hysterisch habe ich ihn noch nie erlebt. „Natürlich nicht.“, ich musste mir ein Lächeln verkneifen.

„Oh sie redet endlich, ganze zwei Wörter.“

„Du machst dich also lustig über mich?“

„Nein, nein keineswegs.“, ich lächelte und versuchte durch sie hindurch zu blicken und auf telepathische Weise zu verstehen was los ist.

 

Er stand schon in der Küche und beobachte mich. Mein Papa war fünfzig und hatte auf dem Kopf schon eine kahle Stelle, er trug eine schlichte Brille und zum Arbeiten immer ein Hemd auch wenn er zuhause war. Er mochte es zuhause zu arbeiten, so konnten wir nämlich einen Hund haben, er konnte immer mit ihm Gassi gehen und so konnte er mittags für uns kochen und so konnte er immer für uns da sein und Mama konnte auf Geschäftsreise gehen, wenn sie wollte – das kam aber nicht allzu oft vor. Meine Mama ist fünf Jahre jünger als Papa und arbeitet als Journalistin bei einer Zeitung. Sie liebt ihren Job und macht ihn wie ich finde wunderbar oder wie ihr Chef immer sagt: „Ausgezeichnet, Frau Schubert, ausgezeichnet!“

Meine Eltern sind erfolgreich in ihrem Job, haben ein Haus, ein Hund, zwei Autos und eine Tochter – die letztes Jahr ihren Schulabschluss gemacht hat und dachte sie könnte so erfolgreich wie ihre Eltern werden und versuchte sich als Eventmanagerin – mit dem Ziel später auch mal selbstständig zu werden. Es passte zu mir, zu meinen Fähigkeiten und zu meinem Charakter – dachte ich. Meine Eltern waren total stolz bei jedem bisschen Verantwortung, die ich bekommen hatte und mit der ich prima umzugehen wusste. Ich reiste zwischen Deutschland, Belgien, Luxemburg und der Schweiz hin und her und half bei der Organisation von Partys, Firmentreffen, Ausstellungen, Blogger-Events, Festivals, Messen, Galas, Preisverleihungen und Privatpartys von Leuten mit zu viel Geld. Theoretisch würde ich in anderthalb Wochen nach Barcelona fliegen auf ein Festival. In fünf Monaten würde ich meine erste Zwischenprüfung schreiben – alles könnte so schön sein. Doch irgendwas ließ mich nicht los, dass ich etwas Falsches tue. Als würde ich irgendwo anders etwas verpassen, was für mich bestimmt ist, etwas Sinnvolleres, als blöde, unwichtige, Luxuspartys zu schmeißen. Durch meine Arbeit hatte ich natürlich viel mit den Leuten zu tun die solche Partys besuchten und Gastgeber waren und je mehr du mit diesen Leuten redest, desto mehr wirst du so wie sie. Ich fühlte mich so als würde ich mich häuten und zu einem perfekt gebräunten, durchtrainierten, Lippen-aufgespritzten, Zähne-gebleachten, Extensions-tragenden, verwöhnten Abbild meiner selbst werden.

Heute morgens hätte ich eigentlich eine Vorbesprechung wegen dem Event in Barcelona haben sollten aber ich habe mich Krankgeschrieben, weil als ich in den Spiegel sah – sah ich nicht mich – ich sah jemand ganz anderen – der gar nicht so war wie ich glaubte zu sein. Und das hat mir so viel Angst gemacht, dass ich da nie wieder hinwollte und in Tränen ausbrach. Es gab eigentlich keinen Grund so heftig zu reagieren aber vielleicht war es so wie Papa gesagt hat, dass ich es bis heute nicht gewusst habe und es sich über lange Zeit angesammelt hat. Fast ein Jahr habe ich unwichtige, belanglose Arbeit gemacht. Wieso konnte ich das ohne schlechtes Gewissen tun? Weil keiner ein schlechtes Gewissen hat, alle denken sie tun was wichtiges, tolles, Sinnvolles. Wären es doch wenigstens Wohltätigkeitsveranstaltungen – aber nein letzte Woche Samstag war ich auf der jährlichen Sommerparty einer Modezeitschrift. Mit 21 Jahren habe ich nichts für die Gesellschaft geleistet – was auch schon eine Leistung ist.

 

Ich schickte Valentina eine Weile mit dem Hund raus, frische Luft wird ihr gut tun, so lange sie nicht reden will. Manchmal muss man Menschen ihren Freiraum lassen – vielleicht weiß sie selber noch nicht genau was los ist oder wie sie es uns sagen soll. Was könnte sie so fertigmachen? Sie hat eine spannende Ausbildung, die ihr Spaß macht, wie sie selber sagt, hat keine Beziehung somit keine Beziehungsprobleme, hat viele gute Freunde die wir kennen, hat ein Dach über dem Kopf und mit uns hat sie auch kein Streit. Was haben wir übersehen?

 

Raus mit dem Hund gehen – dann geht es mir bestimmt gleich viel besser. Papa – der Hobbypsychologe. Nein, natürlich meint er es nur gut und wollte mir mehr Zeit lassen um mir über alles im klarem zu werden. Ich sag ja meine Eltern sind toll – wer wäre noch so rücksichtsvoll?

Als ich wieder kam beschloss ich Papa zu berichten, dass ich mich morgens früh vor mir selber erschrocken habe und im falschen Beruf stecke und nicht weiß wie es weitergehen soll. Er war nicht schockiert oder böse, nein er nahm mich in den Arm und sagte alles würde gut gehen, er würde mich verstehen und er würde mit Mama reden und sie würden mir helfen bei allem so gut sie könnten. Er gab mir einen Kuss auf die Stirn drückte mich nochmal kräftig, streichelte den Hund im Vorbeigehen und verschwand wieder in seinem Arbeitszimmer.

 

Da stand sie wieder in meinem Büro aber diesmal ganz ernst – fast verärgert.

„So einfach? Ich sage dir, dass ich nach einem Jahr meine Ausbildung schmeißen will und du bist der beste Papa der Welt und verstehst mich?“

Ich war verwirrt: „Soll ich dich lieber anschreien? Sicherlich muss ich das auch erstmal schlucken und verdauen aber ich kenne dich und weiß, dass du das Beste daraus machen wirst Schatz.“

„Aber…“

„Nichts aber Valentina.“

Sie blickt mich mit riesen großen Rehaugen an.

„Wieso sollte ich es dir noch schwerer machen?“

 

Wie ich mich fühle

Ich fühle mich … schon diese drei kleinen Worte lassen mich ausrasten, weil ich so viel darüber geredet habe und so viel fühle, dass mich all diese Gefühle bremsen. Ich will endlich weniger fühlen und mehr machen.
Wie ich mich fühle also – ich fühle mich die meiste Zeit schrecklich und meistens versuche ich das zu verdrängen und denke ich habe keine Probleme und mir geht es gut, aber immer mit dem kleinen Hintergedanken, dass dem nicht so ist. Außerdem fühle ich mich allein, hilflos und planlos, selbstisoliert. Ich komme mir selber doof vor, weil ich so ein Drama mache. Aber es geht um meine Zukunft, für mich ist das ein Drama – ein wichtiges Drama. Ich kann so viel reden wie ich will aber es bleibt trotzdem wie es ist und erst wenn ich aufhöre zu reden und zu fühlen und die Bremse sich löst, dann geht es mir nicht mehr schrecklich sondern gut – ich will einen Plan haben, nicht mehr einsam sein und den Kopf endlich wieder anderem widmen, als meinen blöden Problem – nicht zu wissen wie meine Zukunft aussehen soll. Man hat so viele Vorstellungen, Ideen, Wünsche und Träume. Eigentlich will man so viel machen, hat sich vieles schon vor Jahren vorgenommen – es aber nie in Angriff genommen. Aber das alles was man sich vorgestellt hat ist so wage, nichts festes, kein fixer Punkt, kein Ziel, kein Fels in der Brandung – ich habe kein Fels und kein Kompass und finde den Weg nicht mehr – kein Wunder, dass ich mich nicht zurecht finde und auf einer Stelle stehe. Und helfen kann ich mir nur selber, da muss ich ganz alleine durch – da kann mir keiner helfen – und das zu wissen – diesen Druck auf einem selber spüren – macht es mir noch schwerer sich zu bewegen. Und das alles ist zum Heulen aber irgendwie bin ich so stumpf und kalt und so neben der Spur, dass man das von außen kaum sehen kann – nur innen kocht alles und dieses Getue nach außen, dass alles tutti Banane ist und bleibt und sich nichts ändern wird – wo innen alles rebelliert und brodelt und brennt und weint und nicht weiter weiß – macht alles nur noch schlimmer. Und keiner fängt mich wenn ich falle – ich muss selber lernen wie eine Katze zu landen.
Die Worte sprudeln, Müdigkeit packt mich, ich habe Albträume, alles lähmt mich, will niemanden sehen – will alle sehen, denke oft an früher – sollte eher an morgen denken, will dem entkommen und laufe weg – sollte mich dem aber endlich stellen, will ohne schlechtes Gewissen lachen – will weinen, will endlich einen Plan haben.