preloder

Sie – Kapitel 4

Und so sagte er ihr, dass er wegen ihm geschnappt wurde, dass er die ganze Schuld auf sich genommen hat, damit er seine Ausbildung zu Ende machen kann. Er hat es freiwillig gemacht – wie man das so macht unter Freunden, unter Brüdern. Er war schon mal im Knast, für ein Jahr. Und hat danach nichts gelernt und weiter gedealt und will endgültig was daraus lernen und seine Strafe absitzen.

„Aber was hast du denn angestellt? Hat er selber angeboten dich zu decken?“, fragte sie nach seinem Monolog wie schlecht er sich doch fühlte.

„Willst du das wirklich wissen? Und ja natürlich ich würde ihn doch nie selber fragen.“

Sie machte sich eine Zigarette an, atmete laut in dem Hörer: „Natürlich will ich alles wissen, deswegen rufe ich an.“

„Du kennst doch die Jungs, die im Norden der Stadt dielen? Bei denen waren wir und überfielen sie, zwei wurden stark verletzt. Eigentlich hätten wir das so geklärt. Du kennst uns. Aber die Nachbarn haben die Bullen gerufen. Wir konnten abhauen aber die anderen haben uns verraten. Und er würde mich nicht verpfeifen, sagte er, weil ich ja noch eine Zukunft habe – und er nicht mehr. Wahrscheinlich glauben die Bullen den Jungs nicht ganz deswegen tappen die noch etwas im Dunkeln was wirklich passiert ist und wer beteiligt war.“

„Euer Ernst Leute! Wie im Kindergarten! Was wolltet ihr von denen?“

„Die haben sich in unserem Revier breitgemacht…“

„Das konntet ihr natürlich nicht auf euch sitzen lassen. Verstehe.“

„Genau.“, er atmete laut aus – vor Scham über sein Verhalten.

„Trotzdem seid ihr mehr als bescheuert. Wie oft habe ich ihm gesagt er soll mit den Drogen aufhören? Was war jetzt so schlimm daran mir das zu sagen? Wozu das Drama?“

„Keine Ahnung, wir wussten genau was du sagst und alles was du sagst stimmt…“

„Und das wolltet ihr nicht hören. Verstehe.“

„Genau.“

Sie starrte abermals aus dem Fenster.

Er sitzt ihm Knast. Und wird dort auch erstmal lange bleiben. Und er bleibt frei… macht seine Ausbildung zu ende. Und er sitzt im Knast – schon wieder und büßt für sich und für ihn – und er ist frei. Und ich bin nicht bei ihm. Was soll ich machen? Ich bin so verwirrt. Wie oft habe ich jetzt schon gehört: „Lass dich nicht auf Kriminelle ein! Das gibt nur Probleme.“ Wie recht sie doch hatten. Wie oft hatte er schon die Bullen am Hals? Wie oft hatte er eine Überdosis? Wie oft ist er fast abhängig geworden? … Wir mussten ihn alle zusammen ans Bett binden – damit er uns nicht an die Gurgel geht – kalter Entzug ist nicht schön – zu sehen und zu erleben. Wie oft hatte er ein blaues Auge nach einer Schlägerei – und kam damit zu mir – um 4 Uhr morgens? Wie oft musste ich ihn aus dem Krankenhaus mit gebrochener Rippe oder verstauchter Hand abholen? Wie oft habe ich schon seine Stichwunden genäht? Ich habe das alles stillschweigend hingenommen. – Wieso mach ich das eigentlich mit? Kann das wirklich Liebe sein? Bin ich vielleicht abhängig? Süchtig? – Wie oft haben wir uns gestritten? Wie oft haben wir uns geschlagen? Wie oft habe ich ihn nachts rausgeschmissen? – Und wie oft ist er am nächsten Tag mit Rosen und auf den Knien zurück gekrochen? Wie oft wollten wir schon heiraten und durchbrennen? – Genauso oft wie wir es nie gemacht haben – haben stattdessen einfach rum gespinnt und gekifft. Wie oft wurde ich schon in die ganzen Geschäfte reingezogen? Wie oft bin ich fast abhängig geworden? Wie oft haben sie sich alle und die Drogen schon bei mir versteckt? Erst in letzter Zeit lass ich mich da nicht mehr reinziehen. Und warum habe ich eigentlich keinen anständigen Beruf – sondern Kellner 12 Stunden am Tag? Eigentlich habe ich was Anständiges studiert – bloß nie zu ende. Selber Schuld natürlich.

Wenn ich so darüber nachdenke… hätte das alles nicht sein müssen. Ich hätte zu ende studiert, einen Job gefunden, hätte meine Eltern noch an meiner Seite, hätte jemand nettes kennengelernt, wir wären zusammengezogen und hätten ein normales langweiliges Leben, vielleicht hätte ich jetzt sogar schon ein Kind. Es ist aber es ist ganz anders gekommen: ich habe ihn auf einer fucking Party kennen gelernt – Klischee, hab mein Studium abgebrochen, hing nur noch mit seinen Freunden ab, hielt mich irgendwie mit Mini-Jobs über Wasser, irgendwie haben wir uns ja geliebt, und ich habe mich an dieses Leben gewöhnt, es wurde normal – Alltag, es gehört einfach dazu einen Filmriss zuhaben, Drogen auf dem Tisch liegen zu haben, einmal im Monat irgendjemanden von der Polizeiwache abzuholen, weil keiner high fahren wollte, nichts im Kühlschrank zu haben, kein Kontakt zu meiner Familie mehr haben, nichts mehr unter Kontrolle zu haben – und irgendwie gehörte das alles plötzlich dazu.

Es hat sich ganz natürlich angefühlt. Als hätte es so sein sollen. Als wäre es das normalste auf der Welt. Als wäre es vorherbestimmt und nichts hätte uns davon abhalten können. Ich spürte nichts von der Welt. Der Alkohol pulsiert im Schädel. Ich dachte an nichts. Es ist so als wären wir die einzigen gewesen in diesem Moment. Doch kaum lösten sich unsere Lippen schon hatte ich das Gefühl, dass die ganze Welt wieder auf meinen Schultern lastet. Er schaute mich an und ich ihn und wir wussten, dass es nur dieser eine Moment war und mehr war uns nicht bestimmt.

 

Nächstes Kapitel

Sie – Kapitel 3

Ich war plötzlich wieder auf der Party und schwitze schrecklich. Ich sah mich und sah viel zu viele Menschen die ich alle kannte. Sie tanzten alle um mich herum, bildeten einen Kreis und ich stand in der Mitte dieses Kreises, alle Augen auf mich, Schweiß tropfte an mir runter. Sie tanzten und lachten und hatten Spaß, hüpften und fingen an zu schreien, was sich ziemlich mechanisch, elektrisch … ich weiß nicht – aber auf jeden Fall nicht menschlich anhörte, sie schrien wie Sirenen, ich verstand nichts, drehte mich im Kreis bis mir schwindlig wurde. Sie klatschten in die Hände, aber es hörte sich nicht wie klatschen an – eher wie klopfen. Ja sie klopften in die Hände.

Sie fiel vom Sofa und gab kurz ein Laut von sich, setzte sich auf den Boden und versuchte zu verstehen was gerade passierte. Sie hörte das Klopfen immer noch und da – da wieder das Schreien aber es hörte sich diesmal so echt an. Die Klingel! „Um Gottes Willen! Was ist denn jetzt schon wieder?“, sagte sie außer Atmen beim öffnen der Tür und sah zwei in blau. „Guten Tag! Wir entschuldigen unseren frühen Besuch, aber wir würden gerne kurz mit ihnen sprechen.“

„Geben sie mir einen Moment“, hauchte sie und sah zuerst die Polizisten an und dann an sich runter. Die Beamten nickten nur. Sie lehnte die Tür an und fluchte innerlich. Sie zog sich einen Bademantel an, obwohl sie angezogen war, aber sie fühlte sich nackt und nassgeschwitzt. Sie schaute nicht in den Spiegel. Holte sich ein Wasser und machte wieder die Tür auf. Die Polizisten schauten sich schief an: „Dürfen wir?“, und deuteten in ihre Richtung.

„Solange sie nicht müssen – nein. Wir können das sicher auch so besprechen.“

„Wie sie meinen. Sie wissen bestimmt warum wir hier sind – oder?“

„Nein.“, nichts wünschte sie sich jetzt mehr als einen Kaffee, sie schaute sie mit hochgezogener Braue an, „Klären sie mich auf Officers!“

Der eine grinste und der andere schnaubte verächtlich: „Lassen sie das!“

„Also wir sind hier wegen ihrem Freund, der sich gestern hier versteckt hat.“, übernahm der erste wieder.

„Verfolgen sie mich?“, sie war überrascht und wurde abrupt ernst.

„Nein das hat er uns selber gesagt.“, sagte der eine ganz Trocken und mit einem unsichtbaren, zufriedenen Lächeln – sie aus dem Konzept gebracht zu haben. Sie runzelte die Stirn und öffnete den Mund langsam, als überlegte sie was sie jetzt sagen soll. In ihren Augen sah man wie es ratterte. Die Augen nämlich flogen ratlos von einem Polizisten zum anderen und wieder zurück.

„Wir haben ihn gestern Nacht noch festgenommen.“, fügte er noch hinzu als sie stumm blieb.

Sie schwieg kurz bis sie dann nach einem angespannten Scheufzer antwortete: „Festgenommen also. Was wollen sie dann von mir?“

„Wir haben einige Fragen zu ihrer Beziehung und zu seinen Geschäften, sie wissen schon – das übliche.“

„Verstehe. Und was ich damit zu tun habe und ob ich ihn verpfeife. Ohne meinen Anwalt sag ich gar nichts.“

„Wir wollen sie ja erstmal nicht verhören, wir wollen einfach mit ihnen reden, buchstäblich zwischen Tür und Angel.“

„Erstmal?!“

„Ja erstmal. Können sie uns vielleicht sagen warum er genau abgehauen ist?“

„Sie glauben doch nicht wirklich, dass ich irgendwas sagen werde?“, sie lachte, nicht ihr erster Polizeiverhör, „Schönen Tag noch Officers!“

Sie machte sich einen großen Kaffee. Dieser verdammte Mistkerl – warum ist er weggelaufen?! Warum er weggelaufen ist! Die Bullen wissen genau so viel wie ich. Aber sie haben ihn trotzdem festgenommen, wollen ihn endgültig kriegen. Was hat er angestellt?

Sie telefonierte etwas rum – bei seinen Jungs – die wussten alle was, aber keiner wollte was sagen. Was für Weicheier! Was kann so schlimm sein? Bis sie schließlich den einen Freund anrief – der sie einander vorgestellt hatte, vor vielen Jahren.

Hey Baby kommst du mit zur Party?“, er setzte sich neben sie.

Ich bin nicht dein Baby! Und nein – ich habe zu tun!“, sie versuchte ihr Buch weiter zu lesen.

Was hast du bitte an einem Samstagabend zu tun?!“, er schubste sie an und hielt sein Gesicht knapp über das Buch gebeugt.

Ja was man so zu tun hat. Komm lass mich in Ruhe.“

Musst du etwa alle Bücher der Welt in deinem Studium lesen?“

Ja.“, antwortete sie ganz ernst.

Du hast also keine Ausrede? Irgendwas liegt dir…“, er machte eine Kunstpause, sie verdrehte die Augen und er fuhr theatralisch fort, „auf dem Herzen.“

Sie lachte und packte das Buch schließlich doch weg.

Ich habe auch eine Überraschung für dich.“, er klatschte wie ein Kind in die Hände.

Oh eine Überraschung das ändert natürlich alles. Da kann ich ja gar nicht nein sagen.“

Ganz genau. Warum nicht gleich so? Ich hol dich um zehn ab.“

Blödmann.“, sie schlug ihn mit dem Buch, er warf ihr eine Kusshand zu und ging fast hüpfend weg.

So da sind wir – wo ist meine Überraschung?“, sie setzte die Hand an die Stirn als würde sie was in der Ferne suchen.

Deine Überraschung…“, er stellte sich auf Zehnspitzen, „deine Überraschung die steht an der Theke mit Mojitos.“

Alter dein Ernst? Du willst mich verkuppeln?“, sie ließ die Schultern fallen.

Er lachte: „Komm gib ihm ne Chance. Der ist lustiger als du, glaub mir.“

Niemals ist der Idiot lustiger als ich.“

Und da sah ich ihn zum ersten Mal und es war… es war keine Liebe auf den ersten Blick – so kitschig bin ich auch wieder nicht – aber es war irgendwie besonders, dieser Moment keine Ahnung, als wäre unsere gemeinsame Zukunft mit diesem Blick besiegelt worden. Und ich wollte zuerst nicht mit. Stellt euch vor wir wären uns nie begegnet… Mein Leben wäre nicht mehr meins ohne ihn.

Sie starrte mit einem leeren Blick aus dem Fenster.

„Hallo? Jemand Zuhause?“.

Vor Schreck ließ sie fast das Telefon fallen: „Spinnst du!“

„Hör mal du rufst mich doch in aller Herrgotts Frühe an!“, er schaute nochmal auf die Uhr – 7:23 Uhr.

„Dann komm ich am besten direkt zur Sache. Er war gestern bei mir – auf der Flucht. Wurde gestern noch geschnappt. Die Bullen haben mich gerade eben aus dem Bett geklingelt und haben ein paar Fragen, weil die selber nicht wissen warum die ihn eigentlich festgenommen haben. Was hat er angestellt?“

„Niemals haben die ihn geschnappt. Warum war er bei dir?“, er kratze sich am Kopf und versuchte cool zu bleiben.

„Ja die Bullen haben zuerst bei ihm geklingelt und er ist durchs Fenster abgehauen – zu mir.“

„Wie kann man so bescheuert sein?!“, er schüttelte den Kopf.

„Das frag ich mich auch. Hör zu! Ich habe alle seine kriminellen Assis angerufen und alle wissen was und keiner sagt mir auch nur ein Sterbenswörtchen.“

„Okay.“, eine Weile kam nichts.

„Okay? Meine Fresse… okay sagt der.“, sie lachte und wurde sofort wieder ernst und redete weiter, „Raus mit der Sprache! Das ist ganz bestimmt nicht okay. Ich glaub es nicht – okay sagt der.“

„Genau deswegen sagt auch keiner was.“, er musste sich ein Lachen verkneifen.

„Jetzt reicht es aber! Dein verfickter Ernst? Ich bin doch nicht der verdammte Feind! Ich will doch nur helfen, ich will doch einfach wissen was los ist. Jetzt lenk nicht ab und sag endlich!“

„Er hat niemanden ermordet, wenn du das denkst.“

„Ich ermorde dich gleich – natürlich hat er niemanden ermordet.“

Er legte das Telefon neben sich auf den Tisch, weil sie so laut war.

„Was kann denn so schlimm sein, dass du es mir nicht sagen kannst? Ich kenne ihn schon sieben verdammte Jahre – und ich kenne ich ihn wirklich.“

„Sieben Jahre! Wie die Zeit vergeht.“

„Sag mal, willst du mich verarschen? Wenn du mir nicht auf der Stelle sagst was er angestellt hat gehe ich selber zu den Bullen und frag ihn da und wenn ich schon mal da bin kann ich direkt meine Aussage machen.“

„Das würdest du nicht tun.“

„Ach ja? Wollen wir wetten?“, in ihrer Stimme lag endlose Wut und Unverständnis warum sie außen vor gelassen wurde.

Ich kannte sie inzwischen mehr als sieben Jahre und kannte sie besser als jeder andere und wenn sie sogar ihn und sich selber schaden würde, sollte ich nicht mehr spaßen. Denn wenn sie es von ihm erfahren würde, dann würde sie mich wirklich ermorden. Und ich hätte es vielleicht sogar verdient, denn er deckt mich und sie wird mir das nie verzeihen.

Nächstes Kapitel

Sie – Kapitel 2

Sie roch nach Schnaps, Kippen und Schweiß. Die Vögel zwitscherten gut gelaunt ihre schönen Lieder. Die Sonne kitzelte ihre Nase. Sie wälzte sich in ihren Laken und streckte sich, legte sich auf den Rücken und starrte an die Decke. Sonntag. Rasenmäher. Kinder auf Bobbycars. Staubsauger vom Nachbarn. Brötchengeruch vom Bäcker gegenüber. Sie ließ die Musik über die Anlage laufen. Antwortete auf keine Nachricht. Die Bilder von gestern auf Instagram haben 100 Likes. Sie ließ das Handy vom Bett fallen. Der Lärm machte sie Wahnsinnig. Sie setzte sich auf die Bettkante und trank Wasser. Und so verstrich der Tag: Sie erledigte den Haushalt, duschte, machte Papierkram, erledigte alles was sich so angesammelt hatte, über die letzte Zeit. Nachmittags war sie fertig und machte sich endlich was zu essen. Sie saß am Küchentisch, kein Mucks zu hören. Der Himmel war blau, kleidete sich aber schon langsam in seine Abendgarderobe. Und sie kaute ihr Essen, spürte jeden Bissen und ließ sich Zeit.

Es klingelte an der Tür. Sie dachte es könnte ein Nachbar sein, der ein Päckchen für sie entgegengenommen hatte, aber nein. Er war es. Sagte nichts, sondern ging schnurstracks an ihr vorbei ins Wohnzimmer und ließ sich aufs Sofa plumsen, legte die Hände hinter den Kopf und atmete erleichtert auf. In der Wohnung roch es noch nach Eintopf.

Sie lehnte im Türrahmen mit verschränkten Armen und witzelte: „Auf der Flucht?“

„Wenn du wüsstest. Hast du was zu trinken?“

Sie brachte ihm ein Scotch.

„Was ist denn jetzt? Sag schon!“, sie knuffte seine Schulter.

Und er fing an zu erzählen und hörte nicht mehr auf. Er war wirklich auf der Flucht. Er sah das Polizeiauto in die Auffahrt fahren, es klingelte bei ihm und er dachte nicht nach, sondern kletterte aus dem Fenster, hüpfte aufs Garagendach und rannte so schnell er konnte davon. Die Drogen hatte er natürlich in der Wohnung gelassen – Idiot!

„Du weißt schon, dass die ohne Durchsuchungsbefehl nicht einfach so rein können?!“, sie blickte ihn kritisch an.

„Und was, wenn die einen haben?“, er schloss die Augen.

Sie schüttelte den Kopf: „Wegen Drogenhandel kommen die Sonntagabend zu dir nach Hause?“

„Ich bin doch auf Bewährung.“

Sie blickte ihn erstaunt an: „Ja und warum machst du dann so ein Scheiß?“, sie schüttelte vorwurfsvoll den Kopf.

„Das fragst du mich echt?“

Sie scheufzte – er ebenfalls.

„Und wenn sie wirklich einen Durchsuchungsbefehl haben, die Drogen und das Geld gefunden haben, dann bist du am Arsch. Willst du jetzt ewig vor den Bullen weglaufen? Meine Fresse.“, sagte sie wütend und fuchtelte mit den Armen umher, weil sie sich nicht mehr anders zu helfen wusste.

Er setzte sich und stütze den Kopf in den Händen.

„Hast du nichts zu sagen?“, wiederholte sie diesmal lauter, als er beim ersten Mal nicht antwortete.

„Du sagst doch schon alles.“

Sie schloss für eine Sekunde die Augen und atmete tief durch: „Wenn die dich kriegen, wie lange musst du dann?“

Sie spürte, dass er sie kurz ansah. Doch er konnte ihr nicht in die Augen blicken.

„Weiß nicht, drei – vier, fünf Jahre.“

„Meine Fresse. War es das wert? Weil die kriegen dich – früher oder später kriegen die dich.“

„Dann lieber später.“

Sie lachte verachtungsvoll. Sie trank. Diesmal war es ernst. Sie setzte sich neben ihn und legte ihm eine Hand auf die Schulter.

„Aber warum kommen die jetzt?“, fragte sie und knackte mit der anderen Hand die Knochen (das macht sie immer, wenn sie unsicher ist – schlechte Angewohnheit).

„Mich hat einer verpfiffen.“

„Weißt du wer?“

„Für ihn wäre besser ich wüsste es nicht.“

„Alles klar.“, sie verdrehte die Augen und warf den Kopf nach hinten.

Er legte seinen Kopf auf ihre Brust und sie streichelte durch sein Haar. Seine Hand legte er sanft auf ihr Knie und schmiegte sich noch näher an sie. Sie waren wieder vereint, ein Team, nichts war zwischen ihnen. Sie fing ihn jedes Mal auf, wenn er fiel. Das war ihr Ding. Dafür lebten sie: Er baute scheiße – heulte sich bei ihr aus – sie vergas alles andere und half ihm immer wieder aus der Patsche. Ohne sie wäre er bestimmt nicht nur einmal im Gefängnis gewesen.

„Warum bist du gestern eigentlich so früh gegangen?“

„Hab ich doch gesagt – ich brauchte frische Luft.“, sie wurde rot.

Er atmete tief mit offenen Mund aus: „Du fehlst mir.“

„Ich weiß.“, sie verdrehte die Augen und zwang sich zu einem Lächeln.

„Ich sollte gehen. Du brauchst keine Schwierigkeiten. Ich komm bei den Jungs unter.“

„Denk nach! Dann können wir zusammen sein, weißt du. Bring dein Leben auf die Reihe, denk nach, ich warte auf dich.“, aber worauf wartete sie eigentlich – jahrelang?

In der Zwischenzeit waren sie zur Tür gegangen. „Was wäre ich ohne dich.“, er küsste sie ganz fest auf die Lippen und ging. Sie fühlte sich, als hätte sie endlich wieder Boden unter den Füßen.

„Die Polizei schläft nicht – was?“, sie stützte sich an der Tür und grinste und schüttelte den Kopf, „Wegen Drogenhandel steht die Polizei doch nie im Leben an einem Sonntag auf der Matte. Wieso sollten sie? Es muss irgendwas Anderes passiert sein – da kann er mir nichts erzählen. Irgend‘ ne Scheiße hat er wieder abgezogen. Oh Gott bitte hilf ihm da raus.“, dachte sie.

Sie ging auf ihren kleinen Balkon und rauchte. Es dämmerte schon und man konnte nur noch spärlich die Gesichter der Menschen auf der Straße erkennen. Und irgendwie wünschte sie sich wieder im Park, auf der Bank mit dem Herrn mit Hut und Hund, zu sein. Aber sie war hier im vierten Stock und schaute über die Stadt und dachte wieder nach.

Irgendwann starrte sie nach oben und entdeckte ein Haufen Sterne – wie lange sitze ich hier schon? – Die Schachtel war gerade eben noch halbvoll. Von jetzt auf gleich wurde ihr unglaublich kalt, sie ging schnell wieder rein. Sie schaute auf ihr Handy: 00:01 Uhr- dutzende Nachrichten. Letzte Woche noch hatte sie ein ausgeprägtes sozial Leben – mit eben dutzenden Freunden, die sie auf Partys kennen gelernt hatte. Und irgendwie wollte sie sich von diesen Leuten lösen aber anscheinend machen eine Woche einsperren, um dann doch in den Club zu gehen, es nicht besser. Sie legte sich mit offener Balkontür aufs Sofa und ließ den Fernseher nebenbei laufen.

Nächstes Kapitel

Sie – Kapitel 1

Sie war dünn und dürr. Sie hatte die Arme verschränkt. Sie rauchte. Sie weinte und ihre Schminke war verschmiert. Es war kalt und Nacht und die Sterne leuchteten über ihr. Plötzlich schrie sie und schlug wild um sich: „Lass mich los.“, rief sie immer wieder – aber da war niemand. Sie stand da nur in T-Shirt und Jeans. Die Zigarette fiel auf den Boden. „Scheiße“, sagte sie. Und zündete sich eine neue an. Sie atmete tief durch und setzte sich auf die Bank. Sie lehnte sich zurück und rauchte und Tränen liefen über ihr Gesicht. Ihr Kopf dröhnte, da waren nur noch Emotionen. Ihre Wangen waren gerötet. Sie rauchte weiter. Sie fing vor Kälte an zu zittern. Ein alter Herr mit Hut ging mit seinem Hund spazieren, setzte sich neben sie, blieb kurz still und fragte sie dann schließlich: „Was hast du mein Kind?“

Sie schreckte auf und schaute den Mann mit Hut an. Musterte ihn ganz genau – von unten nach oben. Lehnte sich nach vorne und stütze ihren Kopf in ihren Händen ab. Sie schaute ihn von der Seite an und blickte wieder auf den Boden, nahm einen letzten Zug und drückte die Zigarette, mit den Fingern, im Kies, aus und legte sich, dann ganz mit dem Oberkörper auf ihre Beine und ließ die Arme nach unten baumeln.

„Was kümmert sie das?“, fragte sie ohne ihn anzusehen.

„Du sitzt hier alleine und hast geweint und da dachte ich mir es geht dir bestimmt nicht gut und…“

„… und da haben sie gedacht, sie können mich trösten?“, unterbrach sie ihn.

„Bist du zu allen so nett, die dir helfen wollen?“

„Kann ihnen doch egal sein, wie nett ich zu anderen bin.“

„Du machst es einem nicht leicht dir zu helfen.“

„Ich habe auch nicht um Hilfe gebeten.“

„Chapeau. Soll ich gehen?“, der Mann sah sie von der Seite an.

Sie richtete sich wieder auf und lehnte sich nach hinten und musterte den Mann abermals. Sie blickten sich direkt an.

„Soll ich bleiben?“, sagte er ganz freundlich und schien sich anscheinend nichts daraus zu machen, dass sie so abweisend war. Der Hund legte sich flach auf den Boden, die Hinterfüße von sich gestreckt, neben sein Herrchen. Sie atmete laut auf.

„Wir müssen auch nicht reden. Ich kann hier auch einfach sitzen und dir Gesellschaft leisten.“

„Warum tun sie das?“, sie war genervt aber auch verwirrt von so viel Herzlichkeit.

„Ich hatte früher eine Tochter, aber sie ist leider gestorben und ich vermisse sie sehr.“

„Und dann dachten sie ich schütte ihnen mein Herz aus? – Wie eine Tochter ihrem Vater?“

„Vielleicht.“

„Was ist mit ihrer Frau?“

„Was soll mit ihr sein?“

„Wo ist sie?“, sie zog eine Braue hoch.

„Zuhause.“

„Haben sie noch andere Kinder?“

„Nein.“, er blieb ganz ruhig und ließ die unangenehmen Fragen über sich ergehen.

„Wegen ihrer Tochter tut es mir leid.“

„Sie war oft traurig. Wir wollten nur, dass sie glücklich wird.“, er brachte ein kleines Lächeln zu Stande, man sah, dass es ihm schwerfiel.

Der Hund kommt nur noch sehr schwermütig auf die Beine, sie ließ ihn an ihrer Hand schnüffeln und streichelte ihn.

„Alle Eltern wollen, dass ihre Kinder glücklich werden, bloß wissen wie sie oft nicht wie.“, sagte sie und starrte in die leere schwarze Nacht. Der Mann nickte zustimmend. Kein Windhauch war zu spüren, bis auf ein paar Laternen im Park und den Sternen gab es kein Licht.

„Macht sich ihre Frau keine Sorgen, wenn sie so spät noch unterwegs sind?“

„Ich bin ja nicht alleine – im Gegensatz zu dir. Du solltest nicht mehr lange hier sitzen bleiben. Um dich machen sich bestimmt viele Sorgen. Ich muss jetzt gehen – Sir ist müde.“

„Ihr Hund heißt Sir? Im Ernst?“, sie grinste ohne es zu merken.

„Mein Hund ist ein Sir.“, er lachte und ging.

„Gute Nacht.“, rief sie ihm nach.

„Pass auf dich auf.“, zum Abschied winkte er, drehte sich aber nicht mehr um.

Sie wollte sich noch eine Zigarette anmachen, hielt kurz inne, biss sich auf die Lippe und schüttelte den Kopf. Sie steckte sich die Zigarette in dem Mund, als genau in diesem Moment ihr Handy klingelte. Eine unbekannte Nummer rief an.

„Hallo wer ist da?“, sagte sie und verfluchte sich gleichzeitig rangegangen zu sein.

„Hi ich bin‘s.“, schon nach dem ersten Wort wusste sie wer am Hörer war – seine Stimme würde sie unter Millionen erkennen.

„Was soll die fremde Nummer?“

„Mein Guthaben ist aufgebraucht, da habe ich den Barkeeper gefragt ob…“

„…versteh schon.“

„Wo bist du? Wir suchen dich.“, er hielt sich ein Ohr zu, damit er sie besser hören konnte.

Sie atmete den Rauch aus: „Im Park.“

„Warum denn im Park?“

„Ich brauchte frische Luft.“

„Hättest ruhig mal Bescheid sagen können.“

Sie verdrehte die Augen.

„Egal. Kommst du wieder?“, fragte er drängend.

„Nein.“, antwortete sie bestimmt.

„Wieso? Geht es dir nicht gut?“

„Doch, doch.“, schnaubte sie halbherzig ins Telefon, mit den Gedanken schon ganz wo anders.

„Aber?“

„Aber ich möchte einfach nicht mehr in den Club zurückkommen.“, nuschelte sie ungeduldig mit dem Wunsch das Telefonat so schnell wie möglich zu beenden.

„Ok wie du willst. Wann sehen wir uns wieder?“

„Weiß nicht.“

Er seufzte ins Handy: „Ich ruf dich morgen an.“, er merkte, dass sie nicht reden wollte.

„Gute Nacht.“

Irgendwie war sie nicht mehr so euphorisch wie gerade eben noch. Sie stand auf und ging auf und ab und dachte nach und rauchte.

Nächstes Kapitel

Zwischen Gut und Konsens

Wenn etwas, wie eine Handlung,eine Einstellung, eine Aussage, eine Lebensweise, eine Haltung, von allen allgemein als legitim angesehen wird, geduldet wird oder sogar als gut angesehen wird- ist das dann auch gut?

Ich fand mich, vor Angstschweiß triefend, auf dem Boltzplatz mit geballter Faust, das Blut pochte und ich sah ihn mit der Hand vor dem Auge- ich hatte ihn geschlagen. Warum? Weil er mich schon seit Monaten schlägt, schikaniert und einfach nicht in Ruhe lässt. Alle standen um uns herum. Sie hatten mich alle angefeuert, aber nicht so wie ihr denkt, nein spöttisch, nicht ernst gemeint, denn keiner hatte gedacht, dass ich heute zuschlage- nein alle hatten sich gefreut, auf noch eine Tracht Prügel von ihm für mich. Und als ich da so stand, mit geballter Faust, jubelten alle lauthals, denn endlich hatte ihm mal einer die Stirn geboten, eigentlich wollten sie das auch alle tun aber keiner traute sich.
Ich lächelte und alle liefen auf mich zu und gratulierten mir und er stolperte einige Schritte zurück und schaute ungläubig auf das Spektakel vor ihm.

Und wenn sich alle gleich verhalten und keiner das in Frage stellt- ist das dann richtig?

Ich saß mit ihm im Cafe am Fenster, eigentlich sollten wir über die Arbeit reden, aber ich wollte endlich ehrlich sein und ihm meine Gefühle gestehen. Ich fühlte, dass er das gleiche empfand.
Zitternd rührte ich in der Tasse, meine Hand war schweißnass, doch ich überwand mich und machte den ersten Schritt und sagte ihm wie ich mich fühlte und das ich mich deswegen auch so unendlich schlecht fühlte, weil er doch verheiratet ist. Ich bekam einen Kloß im Hals und eine Träne sammelte sich in meinen Augenwinkeln. Er sagte, dass ich wüsste was er fühlte. Mir fiel ein Stein vom Herzen. Ich wusste auch, dass es nicht einfach werden würde für uns, dass es mehr als schwer werden würde. Aber unsere Gefühle sind stark genug um das zu schaffen- das wusste ich.

Wenn ich etwas für richtig halte- reicht das aus?

Schwitzend, nach dem joggen, ging ich zum Briefkasten und holte die Post. Die Familie war nach dem Frühstück noch in der Küche. Ich wartete nämlich schon Ewigkeiten auf die Antwort der Uni, wo ich mich beworben hatte- ich wollte Ärztin werden beziehungsweise hatte ich mich für Medizin beworben.
Mein Vater und meine Mutter sind Ärzte, meine Oma väterlicherseits war Ärztin und meine ältere Schwester ist Krankenschwester (sie bildet sich jetzt weiter zur OP-Schwester). Medizin ist sozusagen ein Familienunternehmen. Ich fand es schon immer interessant bei Papa in der Praxis. Es liegt ihnen allen im Blut- das können alle bestätigen die meine Eltern kennen. Für sie ist das keine Arbeit, sondern eine Leidenschaft.
Und dann schau ich mir diesen Brief an- ich wurde angenommen (ich bin die Tochter von zwei Ärzten, wäre ja auch komisch wenn nicht), meine Eltern freuten sich natürlich unglaublich.
Neben dem Berufswunsch hatte ich auch noch andere Interessen. Ich war immer schon angetan vom Schreiben, vom Journalismus. Dass man mehr oder weniger sein eigener Chef ist und schreiben kann was man will und so auch vielen helfen kann, wenn man die Wahrheit schreibt, kann man so auch Leuten die Augen öffnen. Bei uns an der Schule gibt es sogar (durch meine Initiative) eine monatliche Schülerzeitung. Ja meine Freunde finden es deshalb so Paradox, dass nicht eher sowas mache, sondern trotzdem Medizin studieren will beziehungsweise soll. Denn will ich es?

Und was wenn es nicht immer alle sind die die gleiche Meinung haben, sondern nur ein Teil etwas legitim findet- ist es dann falsch?

Es war ein sonniger Sonntag in den Sommerferien. Ich ging mit meinen Kindern in den Park, wir machten ein Picknick – ganz klassisch. Es war oft schwer als alleinerziehender Vater, aber die Kinder gaben mir so viel Kraft. Wir hatten eine gute Zeit und redeten über alte Zeiten, sie liebten es wenn ich erzählte welchen Blödsinn sie machten, als sie kleiner waren. So erzählte ich eine Geschichte vom letzten gemeinsamen Urlaub am Meer, wo wir noch eine ganze Familie waren, vor der Scheidung.
Plötzlich wurde ich still- es war mir irgendwie unangenehm darüber zu reden- als ob ich jemanden Salz in die Wunde streuen würde, vielleicht war es auch genau so, vielleicht streute ich damit allen Salz in die noch vorhandene, deutlich spürbare Wunde. Meine Kinder waren auch ganz still.
Dann legte meine älteste Tochter ihre, vor Schweiß nasse, Hand auf meine Schulter und sagte, dass ich das richtige getan hätte und das ich dabei an meine Kinder gedacht hätte und nicht an mich und, dass sie das verstehen und dankbar sind.

Es gibt kein richtig und falsch, es gibt nur das was die Gesellschaft akzeptiert, wonach sie lebt- und was sie nicht akzeptiert, was verurteilt wird.
Es gibt kein richtig oder falsch, was über uns steht, es ist alles richtig, was wir dazu machen- und es ist alles falsch, was wir als solches sehen.