preloder

Sie – Kapitel 2

Sie roch nach Schnaps, Kippen und Schweiß. Die Vögel zwitscherten gut gelaunt ihre schönen Lieder. Die Sonne kitzelte ihre Nase. Sie wälzte sich in ihren Laken und streckte sich, legte sich auf den Rücken und starrte an die Decke. Sonntag. Rasenmäher. Kinder auf Bobbycars. Staubsauger vom Nachbarn. Brötchengeruch vom Bäcker gegenüber. Sie ließ die Musik über die Anlage laufen. Antwortete auf keine Nachricht. Die Bilder von gestern auf Instagram haben 100 Likes. Sie ließ das Handy vom Bett fallen. Der Lärm machte sie Wahnsinnig. Sie setzte sich auf die Bettkante und trank Wasser. Und so verstrich der Tag: Sie erledigte den Haushalt, duschte, machte Papierkram, erledigte alles was sich so angesammelt hatte, über die letzte Zeit. Nachmittags war sie fertig und machte sich endlich was zu essen. Sie saß am Küchentisch, kein Mucks zu hören. Der Himmel war blau, kleidete sich aber schon langsam in seine Abendgarderobe. Und sie kaute ihr Essen, spürte jeden Bissen und ließ sich Zeit.

Es klingelte an der Tür. Sie dachte es könnte ein Nachbar sein, der ein Päckchen für sie entgegengenommen hatte, aber nein. Er war es. Sagte nichts, sondern ging schnurstracks an ihr vorbei ins Wohnzimmer und ließ sich aufs Sofa plumsen, legte die Hände hinter den Kopf und atmete erleichtert auf. In der Wohnung roch es noch nach Eintopf.

Sie lehnte im Türrahmen mit verschränkten Armen und witzelte: „Auf der Flucht?“

„Wenn du wüsstest. Hast du was zu trinken?“

Sie brachte ihm ein Scotch.

„Was ist denn jetzt? Sag schon!“, sie knuffte seine Schulter.

Und er fing an zu erzählen und hörte nicht mehr auf. Er war wirklich auf der Flucht. Er sah das Polizeiauto in die Auffahrt fahren, es klingelte bei ihm und er dachte nicht nach, sondern kletterte aus dem Fenster, hüpfte aufs Garagendach und rannte so schnell er konnte davon. Die Drogen hatte er natürlich in der Wohnung gelassen – Idiot!

„Du weißt schon, dass die ohne Durchsuchungsbefehl nicht einfach so rein können?!“, sie blickte ihn kritisch an.

„Und was, wenn die einen haben?“, er schloss die Augen.

Sie schüttelte den Kopf: „Wegen Drogenhandel kommen die Sonntagabend zu dir nach Hause?“

„Ich bin doch auf Bewährung.“

Sie blickte ihn erstaunt an: „Ja und warum machst du dann so ein Scheiß?“, sie schüttelte vorwurfsvoll den Kopf.

„Das fragst du mich echt?“

Sie scheufzte – er ebenfalls.

„Und wenn sie wirklich einen Durchsuchungsbefehl haben, die Drogen und das Geld gefunden haben, dann bist du am Arsch. Willst du jetzt ewig vor den Bullen weglaufen? Meine Fresse.“, sagte sie wütend und fuchtelte mit den Armen umher, weil sie sich nicht mehr anders zu helfen wusste.

Er setzte sich und stütze den Kopf in den Händen.

„Hast du nichts zu sagen?“, wiederholte sie diesmal lauter, als er beim ersten Mal nicht antwortete.

„Du sagst doch schon alles.“

Sie schloss für eine Sekunde die Augen und atmete tief durch: „Wenn die dich kriegen, wie lange musst du dann?“

Sie spürte, dass er sie kurz ansah. Doch er konnte ihr nicht in die Augen blicken.

„Weiß nicht, drei – vier, fünf Jahre.“

„Meine Fresse. War es das wert? Weil die kriegen dich – früher oder später kriegen die dich.“

„Dann lieber später.“

Sie lachte verachtungsvoll. Sie trank. Diesmal war es ernst. Sie setzte sich neben ihn und legte ihm eine Hand auf die Schulter.

„Aber warum kommen die jetzt?“, fragte sie und knackte mit der anderen Hand die Knochen (das macht sie immer, wenn sie unsicher ist – schlechte Angewohnheit).

„Mich hat einer verpfiffen.“

„Weißt du wer?“

„Für ihn wäre besser ich wüsste es nicht.“

„Alles klar.“, sie verdrehte die Augen und warf den Kopf nach hinten.

Er legte seinen Kopf auf ihre Brust und sie streichelte durch sein Haar. Seine Hand legte er sanft auf ihr Knie und schmiegte sich noch näher an sie. Sie waren wieder vereint, ein Team, nichts war zwischen ihnen. Sie fing ihn jedes Mal auf, wenn er fiel. Das war ihr Ding. Dafür lebten sie: Er baute scheiße – heulte sich bei ihr aus – sie vergas alles andere und half ihm immer wieder aus der Patsche. Ohne sie wäre er bestimmt nicht nur einmal im Gefängnis gewesen.

„Warum bist du gestern eigentlich so früh gegangen?“

„Hab ich doch gesagt – ich brauchte frische Luft.“, sie wurde rot.

Er atmete tief mit offenen Mund aus: „Du fehlst mir.“

„Ich weiß.“, sie verdrehte die Augen und zwang sich zu einem Lächeln.

„Ich sollte gehen. Du brauchst keine Schwierigkeiten. Ich komm bei den Jungs unter.“

„Denk nach! Dann können wir zusammen sein, weißt du. Bring dein Leben auf die Reihe, denk nach, ich warte auf dich.“, aber worauf wartete sie eigentlich – jahrelang?

In der Zwischenzeit waren sie zur Tür gegangen. „Was wäre ich ohne dich.“, er küsste sie ganz fest auf die Lippen und ging. Sie fühlte sich, als hätte sie endlich wieder Boden unter den Füßen.

„Die Polizei schläft nicht – was?“, sie stützte sich an der Tür und grinste und schüttelte den Kopf, „Wegen Drogenhandel steht die Polizei doch nie im Leben an einem Sonntag auf der Matte. Wieso sollten sie? Es muss irgendwas Anderes passiert sein – da kann er mir nichts erzählen. Irgend‘ ne Scheiße hat er wieder abgezogen. Oh Gott bitte hilf ihm da raus.“, dachte sie.

Sie ging auf ihren kleinen Balkon und rauchte. Es dämmerte schon und man konnte nur noch spärlich die Gesichter der Menschen auf der Straße erkennen. Und irgendwie wünschte sie sich wieder im Park, auf der Bank mit dem Herrn mit Hut und Hund, zu sein. Aber sie war hier im vierten Stock und schaute über die Stadt und dachte wieder nach.

Irgendwann starrte sie nach oben und entdeckte ein Haufen Sterne – wie lange sitze ich hier schon? – Die Schachtel war gerade eben noch halbvoll. Von jetzt auf gleich wurde ihr unglaublich kalt, sie ging schnell wieder rein. Sie schaute auf ihr Handy: 00:01 Uhr- dutzende Nachrichten. Letzte Woche noch hatte sie ein ausgeprägtes sozial Leben – mit eben dutzenden Freunden, die sie auf Partys kennen gelernt hatte. Und irgendwie wollte sie sich von diesen Leuten lösen aber anscheinend machen eine Woche einsperren, um dann doch in den Club zu gehen, es nicht besser. Sie legte sich mit offener Balkontür aufs Sofa und ließ den Fernseher nebenbei laufen.

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